Es gibt Gerichte, die bleiben einem einfach im Herzen, egal, wie viele Jahre vergehen. Und manchmal reicht schon ein einziger Duft, um dich in Sekunden zurück in deine Kindheit zu katapultieren. Genau das ist mir vor ein paar Wochen passiert, als ich zufällig beim Aufräumen ein altes Notizbuch meiner Großmutter gefunden habe. Es war nicht besonders hübsch – der Einband leicht verfärbt, die Seiten vergilbt, an manchen Stellen mit Flecken von Butter oder Milch, die wahrscheinlich schon vor dreißig Jahren draufgekommen sind. Und trotzdem, als ich es aufgeschlagen habe, war es, als hätte jemand eine Tür aufgemacht – eine Tür zurück in ihre kleine Küche, wo immer irgendwas auf dem Herd gebrutzelt hat, und wo es nach Liebe, Geduld und Butter roch.
Ich saß wirklich minutenlang einfach da, das Buch auf den Knien, und musste lächeln. Auf der ersten Seite stand in ihrer schrägen Handschrift: „Wenn du hungrig bist und das Leben schnell geht, mach Nudeln, aber nicht einfach so. Mach sie mit Herz.“ Und darunter das Rezept: Überbackene Stellini-Nudeln mit Fleisch und Béchamel. Ich erinnerte mich sofort daran, wie sie das früher gemacht hat, an verregnete Sonntage, an die Stimme vom alten Radio im Hintergrund, an das Ticken der Küchenuhr und an den Geruch, der schon durchs ganze Haus gezogen ist, wenn der Käse anfing, im Ofen Blasen zu werfen.
Damals, als Kind, war mir das alles gar nicht so bewusst. Ich dachte, Essen ist einfach da. Oma steht in der Küche, rührt, lächelt, und irgendwann ruft sie: „Komm essen, das wird sonst kalt!“ Heute, viele Jahre später, weiß ich, dass jedes Gericht, das sie gemacht hat, eigentlich ein kleines Stück Liebe war. Ein Ausdruck davon, wie sie für uns gesorgt hat, auch wenn sie selbst oft müde war, weil der Tag auf dem Hof früh angefangen hatte.
Ich habe mich also entschieden: Ich koche das nach. Genau so, wie sie es damals gemacht hat – oder zumindest so, wie ich es mir erinnere. Ich wollte wieder dieses Gefühl von „Zuhause“ spüren.
Ich bin ehrlich – ich war ein bisschen aufgeregt. Ich hatte schon ewig keine Stellini-Nudeln mehr gekocht. Diese kleinen Sternchen-Nudeln, die man sonst eher in Suppen tut, fand ich als Kind schon irgendwie magisch. Und genau das war’s: Oma hatte immer gesagt, das Geheimnis sei, dass man etwas Kindliches, etwas Verspieltes in jedes Essen bringt. Sie hat nie mit Grammangaben gearbeitet. Bei ihr war es immer: „Mach ein bisschen davon, bis es gut aussieht. Und wenn’s duftet, ist’s richtig.“
Ich also in die Küche. Milch, Butter, Mehl – da war schon dieser vertraute Geruch, als ich die Butter in der alten Pfanne schmelzen ließ. Ich schwöre, in dem Moment hab ich fast ihre Stimme gehört: „Nicht zu heiß, Kind, sonst brennt’s an.“ Und ja, sie hatte recht. Ich habe gelächelt und die Hitze etwas runtergedreht, genau so, wie sie es gemacht hätte.
Während die Butter leise vor sich hin zischte, habe ich die Zwiebel fein gehackt. Und dabei kam mir eine Szene in den Sinn: Ich sitze als kleines Mädchen auf der Küchentreppe, wippe mit den Beinen, während Oma am Tisch steht und Zwiebeln schneidet. Ich mochte den Geruch nie, weil ich immer davon weinen musste. Aber sie sagte: „Zwiebeln sind wie das Leben – zuerst bringen sie dich zum Weinen, aber später machen sie alles besser.“ Ich habe das damals nicht verstanden, aber heute, mit einem halben Leben auf dem Buckel, weiß ich, dass sie recht hatte.
Die Béchamelsauce war der nächste Schritt. Das Mehl kam dazu, wurde mit dem Schneebesen in die Butter eingerührt, bis diese goldene, leicht nussige Basis entstand. Dann langsam die Milch – nicht zu schnell, sonst klumpt’s. Ich hab gerührt, und während die Sauce dicker wurde, hab ich mich gefragt, wie oft sie das wohl gemacht hat. Hunderte Male vielleicht. Für ihren Mann, für ihre Kinder, später für uns Enkel. Und nie hat sie dabei gehetzt. Alles war immer ruhig, gleichmäßig, liebevoll.
Dann kam das Fleisch dran. Ich hab Rinderhack genommen, wie sie es früher auch tat, manchmal auch Schwein, manchmal gemischt, je nachdem, was sie gerade hatte. In der Pfanne das Öl, dann Zwiebeln, Knoblauch – dieser Moment, wenn die ganze Küche plötzlich nach Zuhause riecht. Ich glaube, das ist es, was mich am meisten berührt hat. Dieser Geruch war wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Ich habe die Augen geschlossen und für einen Moment gedacht, ich stehe wieder in ihrer kleinen Küche mit den karierten Vorhängen.
Als das Fleisch Farbe bekam, kam Tomatensoße dazu, ein bisschen Pfeffer, etwas Salz, und ja, ein Hauch Muskat. Oma hat immer gesagt: „Ein bisschen Muskat, das gibt der Seele Wärme.“ Ich weiß, das klingt kitschig, aber sie hatte recht. Das war so typisch für sie – sie hat nie nur gekocht, sie hat gesprochen, gelacht, gesungen. Ich erinnere mich, wie sie manchmal mitten beim Rühren leise vor sich hin summte.
Während das Fleisch leise köchelte, hab ich die Stellini gekocht – kleine Sterne, die im heißen Wasser tanzten. Ich konnte gar nicht aufhören, sie anzuschauen. Es war fast meditativ. Ich hab mich gefragt, warum ich so lange gebraucht habe, um wieder etwas so Einfaches zu machen. Vielleicht, weil man manchmal vergisst, dass Glück gar nicht kompliziert ist. Es steckt in diesen kleinen Momenten.
Dann kam das Schichten – und das war immer der schönste Teil. Eine Auflaufform, leicht eingefettet, dann eine Schicht Nudeln, dann Fleisch, dann ein bisschen Sauce, und wieder von vorn. Oma hat das immer so liebevoll gemacht, als würde sie eine Decke aus Wärme schichten. Ich hab mir Mühe gegeben, das genauso zu tun. Und als ich den Käse obendrauf gestreut habe, hab ich kurz gelächelt und gesagt: „Na Oma, was würdest du jetzt sagen?“
Der Ofen war vorgeheizt, 180 Grad, wie immer. Ich hab die Form hineingeschoben und den Timer auf 20 Minuten gestellt. Und dann kam dieser magische Moment, den ich nie vergessen werde: Als der Käse anfing, Blasen zu werfen. Dieses leise Zischen, das goldene Glänzen – es war, als würde die Küche wieder lebendig werden. Ich schwöre, ich habe den Duft erkannt. Den gleichen Duft wie damals. Butter, Käse, Fleisch, Muskat, Liebe.
Ich hab den Ofen geöffnet, der Dampf stieg auf, und für einen Moment war mir, als stünde sie neben mir. Ich weiß, das klingt komisch, aber es war so real. Ich habe das Gefühl gehabt, sie lächelt. Und ich hab leise gesagt: „Danke, Oma.“
