Ich glaube, jeder hat dieses eine Rezept, das mehr ist als nur eine Süßigkeit. Etwas, das nach Zuhause riecht, nach Wärme, nach Geborgenheit. Bei mir sind es Pekannuss-Pralinen. Kein aufwendiger Kuchen, keine Torte mit hundert Schichten, sondern kleine, unscheinbare Pralinen, die schon beim ersten Biss Kindheitserinnerungen wachrufen. Ich weiß gar nicht, wann es angefangen hat – vielleicht damals, als meine Mutter noch diese alten Glasdosen auf dem Küchenschrank hatte, in denen sie Kekse und Bonbons aufbewahrte. Immer, wenn sie die Dose öffnete, war da dieser süße, nussige Duft, leicht nach Karamell und Vanille, und ich durfte eine kleine Praline nehmen, wenn ich besonders brav war oder sie gute Laune hatte.
Heute, viele Jahre später, bin ich selbst Mutter. Und manchmal erwische ich mich dabei, wie ich ganz unbewusst die alten Rezepte meiner Familie hervorhole, einfach weil ich spüre, dass sie mehr tun, als nur satt zu machen. Sie verbinden Generationen. Sie erzählen Geschichten. Und genau so war es an dem Sonntag, an dem ich beschlossen habe, wieder einmal Pekannuss-Pralinen zu machen.
Es war einer dieser trüben Nachmittage Ende November, draußen hing Nebel in der Luft, die Bäume waren schon fast kahl, und drinnen roch es nach Kaffee und nasser Erde. Mein Mann saß auf dem Sofa und las die Zeitung, die Kinder stritten sich über das Fernsehprogramm, und ich stand in der Küche und überlegte, womit ich ihnen allen eine kleine Freude machen könnte. Etwas, das nicht zu kompliziert war, aber dennoch besonders. Da fiel mir plötzlich das alte Rezeptbuch meiner Großmutter ein – so ein dicker, abgegriffener Band mit gelben Seiten, auf denen in krakeliger Handschrift “Omas beste Naschereien” stand. Ich blätterte ein wenig darin, und dort war es: Pekannuss-Pralinen.
Ich lächelte. Es war fast so, als würde Oma selbst neben mir stehen und sagen: „Kind, mach sie ruhig, aber röst die Nüsse nicht zu lang – sonst schmecken sie bitter!“ Genau so hat sie es immer gesagt.
Ich holte alle Zutaten zusammen: 200 g Pekannüsse, 150 g Zartbitterschokolade, 100 g Vollmilchschokolade, ein bisschen Honig, Vanilleextrakt und eine Prise Salz. Die weiße Schokolade für die Deko hatte ich auch noch im Schrank, von Weihnachten im letzten Jahr. Ich legte alles ordentlich auf die Arbeitsfläche, schaltete leise Musik ein und begann zu rösten.
Das Geräusch von knackenden Nüssen in der Pfanne, das leise Knistern, der Duft, der sich im Raum ausbreitete – ich schwöre, in diesem Moment fühlte ich mich wie wieder acht Jahre alt. Ich stand am alten Herd meiner Großmutter, sie trug ihre geblümte Schürze, und im Radio lief eine Schlagersendung. Sie hatte immer gesagt: „Kochen ist Liebe. Wenn du schlechte Laune hast, wird auch das Essen sauer.“ Damals habe ich gelacht, aber heute verstehe ich, was sie meinte.
Ich röstete die Nüsse vorsichtig, bis sie goldbraun waren, und hackte sie grob, so wie sie es gemacht hätte. Dann stellte ich einen Topf auf und bereitete das Wasserbad vor, um die Schokolade zu schmelzen. Ich liebe diesen Moment, wenn die Stückchen langsam weich werden und sich in eine glänzende, duftende Masse verwandeln. Ich rührte sanft, gab den Honig dazu, den Vanilleextrakt und ein kleines bisschen Salz. Es klingt vielleicht seltsam, aber Salz macht Süßes lebendiger. Es hebt die Schokolade hervor, als würde sie plötzlich zu singen beginnen.
Dann kamen die Pekannüsse hinein. Ich hob sie unter, und das Geräusch, dieses sanfte Knacken beim Umrühren, war fast meditativ. Es roch so intensiv nach Schokolade, dass sogar mein Mann plötzlich in der Tür stand und fragte: „Was machst du da, das riecht ja himmlisch!“ Ich grinste. „Das ist mein Plan, euch alle in die Küche zu locken.“ Und genau das passierte. Kurz darauf kamen auch die Kinder.
Meine Tochter, elf Jahre alt, stellte sich neben mich und sagte: „Mama, darf ich auch eine machen?“ Also formten wir gemeinsam kleine Kugeln – erst klebrig, dann immer schöner. Wir lachten, weil sie sich ständig die Finger ableckte, und ich tat so, als wäre ich böse, aber eigentlich war es mir egal. Das ist der Zauber solcher Momente: Man vergisst den Stress, das Chaos, die Wäsche im Korb. Man ist einfach da. Zusammen.
Wir legten die kleinen Kugeln auf ein Blech mit Backpapier und stellten sie in den Kühlschrank. Während wir warteten, machte ich uns heiße Schokolade und erzählte den Kindern von meiner Oma. Wie sie jedes Jahr zu Weihnachten Pralinen gemacht hat, und wie sie einmal mitten im Sommer welche verschenkte, nur weil sie fand, dass man auch im Juli Freude schenken sollte. „Es gibt kein falsches Datum für Süßes“, sagte sie damals.
Nach einer halben Stunde holten wir die Pralinen wieder heraus. Ich schmolz die weiße Schokolade im Wasserbad – diesmal half mir mein Sohn, der die Aufgabe sehr ernst nahm. „Rühren, aber nicht anbrennen lassen!“, rief er, als wäre er der Chefkoch. Dann tauchten wir die Kugeln nacheinander hinein, ließen sie auf einem Gitter abtropfen und dekorierten sie mit ein paar gehackten Nüssen. Es war ein kleines Kunstwerk.
Am Abend saßen wir alle zusammen im Wohnzimmer. Der Duft der Pralinen lag noch immer in der Luft, süß, warm, fast feierlich. Ich brachte eine Schale mit und stellte sie auf den Tisch. Niemand sagte etwas – alle griffen einfach zu. Und ich schwöre, ich habe selten so glückliche Gesichter gesehen. Mein Mann sagte nur: „Wenn du das nächste Mal so etwas machst, sag mir vorher Bescheid. Ich will beim Rösten helfen.“
Ich lachte. „Beim Probieren meinst du.“
