Es gibt Gerüche, die nie vergehen. Sie gehören zu unserer Kindheit, sie bleiben in uns, auch wenn Jahrzehnte vergehen. Für mich ist es der Duft von gebratenen Zwiebeln und frisch gemahlenem Pfeffer, der sich mit dem Aroma von warmem Hackfleisch mischt – dieser unverwechselbare Geruch, der immer dann durchs Haus zog, wenn meine Oma ihre berühmten Frikadellen machte. Ich schwöre, kein Sternekoch dieser Welt könnte jemals diesen Duft so hinbekommen, wie er damals aus ihrer kleinen gusseisernen Pfanne stieg.
Oma war keine Frau, die nach Rezept kochte. Sie hatte ihre eigenen Maße – eine Handvoll hiervon, ein bisschen davon, und alles „nach Gefühl“. Wenn ich sie fragte: „Wie viel Salz nimmst du denn?“, sagte sie nur: „So, dass es schmeckt.“ Und wenn ich wissen wollte, wie lange sie die Frikadellen brät, lachte sie: „Bis sie gut aussehen.“
Ich war als Kind oft bei ihr. Ihr Haus war klein, mit niedrigen Decken, die Wände dufteten nach Kaffee und Holz, und in der Küche stand immer dieser schwere, alte Holztisch mit ein paar Kratzern – die, wie sie sagte, Geschichten erzählten. Wenn ich nachmittags aus der Schule kam, stand sie oft schon am Herd. Auf der Arbeitsplatte lag eine große Schüssel mit Hackfleisch, daneben ein Brötchen, das in Wasser schwamm, eine Zwiebel, ein Bund Petersilie, Eier. Und ich wusste sofort: Heute gibt’s Frikadellen.
„Setz dich, Mädchen“, sagte sie dann immer, „du darfst die Zwiebel schälen.“ Das war ihre Art, mich in die Küche einzubinden. Ich tat es nie besonders gern – die Augen brannten – aber ich fühlte mich gebraucht. Und während ich schniefte und rieb, erzählte sie Geschichten. Wie sie in den Fünfzigern mit kaum Geld, aber viel Fantasie das Essen für fünf Kinder auf den Tisch brachte. „Fleisch war damals Luxus“, sagte sie. „Da musste man aus wenig viel machen.“ Genau deshalb waren ihre Frikadellen so gut – weil sie gelernt hatte, aus einfachen Zutaten etwas Besonderes zu zaubern.
Sie nahm 500 Gramm gemischtes Hackfleisch, halb Schwein, halb Rind. „Nur Rind wird zu trocken, nur Schwein zu fett“, sagte sie, „die Mischung macht’s.“ Dann das altbackene Brötchen, in warmem Wasser eingeweicht, „nicht Milch, das macht’s zu weich“, warnte sie. Sie drückte es mit beiden Händen aus, bis kein Tropfen mehr kam, und zerrupfte es mit den Fingern. „Das hält die Frikadellen zusammen, aber sie sollen atmen können.“
Dann kam die Zwiebel – eine ganze, fein gehackt. Ich erinnere mich, wie sie mit einem alten Messer arbeitete, das sie nie austauschen wollte. „Das schneidet besser als jedes Neue.“ Die Zwiebeln röstete sie nie vorher an, sie kamen roh hinein, damit sie beim Braten leicht karamellisieren konnten.
„Und jetzt“, sagte sie immer, „kommt das Wichtigste: die Hände.“ Sie nahm das Fleisch, das Brötchen, die Zwiebeln, gab zwei Eier, eine ordentliche Portion Petersilie, Salz, Pfeffer, einen Teelöffel Senf – immer mittig in die Schüssel – und begann zu kneten. Nicht rühren, nicht löffeln – kneten. Minutenlang. Ich erinnere mich, wie ihre Hände durch die Masse glitten, fest, aber geduldig. „Das Fleisch muss dich kennenlernen“, sagte sie lächelnd.
Dann hielt sie die Mischung in der Hand, drückte sie leicht und sagte: „Jetzt fühlt sich’s richtig an.“ Ich verstand das damals nicht. Heute weiß ich: Sie meinte die Konsistenz – nicht zu weich, nicht zu fest, ein bisschen klebrig, aber formbar.
Sie rollte kleine Bällchen, drückte sie leicht flach. Nie zu groß, nie zu klein. „Die Kleinen werden zu trocken, die Großen gar nicht durch“, sagte sie. Sie legte sie nebeneinander auf ein Brett, bestreute sie leicht mit Paniermehl und ließ sie kurz stehen. „Damit sie sich setzen.“
Währenddessen stellte sie eine schwere Pfanne auf den Herd, goss etwas Öl hinein, manchmal auch ein Stück Schmalz, wenn sie eins da hatte. Das Fett sollte heiß sein, aber nicht rauchen. „Wenn du’s zu heiß machst, verbrennen sie außen und bleiben innen roh.“ Sie testete die Hitze, indem sie einen Holzlöffel hineintauchte – wenn kleine Bläschen aufstiegen, war’s perfekt.
Dann legte sie die Frikadellen hinein, eine nach der anderen, mit dem Abstand, als wären es kleine Schätze. Das leise Zischen, als sie die Pfanne berührten, war Musik. Der Duft breitete sich sofort aus – dieses typische, tiefe, würzige Aroma, das einen sofort hungrig machte. Ich stand daneben, sah zu, wie sie sie behutsam wendete, immer wieder den Pfannengriff schüttelte. „Nie mit der Gabel reinstechen, sonst laufen sie aus!“
Sie briet sie goldbraun, dann schaltete sie die Hitze herunter, legte einen Deckel leicht schräg auf die Pfanne und ließ sie langsam fertig garen. Und in dieser halben Stunde war die Küche der wärmste Ort der Welt.
Manchmal machte sie dazu Kartoffelpüree und Erbsen und Möhren, manchmal Bratkartoffeln. Und immer stand eine kleine Schale Senf auf dem Tisch – nicht aus der Tube, sondern grob und kräftig.
Wenn sie fertig waren, legte sie die Frikadellen auf ein Stück Küchenpapier, „damit sie sich ausruhen“, sagte sie. Und dann rief sie laut: „Essen ist fertig!“
Alle kamen sofort – Opa, meine Mutter, Onkel Karl, manchmal auch die Nachbarin, wenn sie zufällig da war. Und dann saßen wir alle da, redeten durcheinander, lachten, während Oma nach und nach die dampfenden Frikadellen brachte.
Ich erinnere mich an dieses erste Stück, das ich immer noch heiß in der Hand hielt. Außen knusprig, innen saftig, der Geschmack von Zwiebel, Petersilie, Fleisch – und irgendetwas, das ich nie benennen konnte. Vielleicht war es einfach Liebe.
Später, als ich älter wurde, versuchte ich oft, ihre Frikadellen nachzumachen. Aber sie schmeckten nie ganz gleich. Mal zu salzig, mal zu trocken, mal zu fest. Ich verstand irgendwann, dass es nicht nur um Zutaten geht, sondern um Geduld. Oma hatte diese Ruhe, dieses Vertrauen ins Ergebnis. Sie ließ dem Essen Zeit, und das schmeckte man.
Heute mache ich ihre Frikadellen fast genauso. Ich nehme 500 Gramm gemischtes Hack, ein eingeweichtes Brötchen, eine Zwiebel, zwei Eier, Petersilie, Salz, Pfeffer, einen Löffel Senf, manchmal ein wenig Muskatnuss, wenn ich Lust auf eine warme Note habe. Ich knete alles, bis ich merke, dass die Masse „lebt“. Dann forme ich sie, lasse sie kurz ruhen und brate sie in Öl. Und jedes Mal, wenn dieses Zischen erklingt, spüre ich, wie meine Kindheit zurückkehrt.
Ich mache sie manchmal auch für meine Kinder. Sie sagen dann: „Mama, das riecht wie bei Oma!“ Und ich lächle, weil sie gar nicht wissen, wie recht sie haben.
Einmal brachte ich welche zu einer Gartenparty mit. Ich dachte, na ja, Frikadellen halt – einfach, nichts Besonderes. Aber als ich die Platte auf den Tisch stellte, verschwanden sie schneller, als ich „Guten Appetit“ sagen konnte. Einer der Gäste kam zu mir und fragte: „Wie hast du das gemacht, dass sie so weich sind?“ Ich grinste und sagte nur: „Mit Zeit.“
Denn das ist wirklich das Geheimnis. Kein teures Fleisch, keine fancy Gewürze – nur Zeit, Wärme und Liebe. Die Frikadellen müssen durchziehen, sich verbinden, ihren eigenen Rhythmus finden. Wenn man sie zu früh brät, sind sie formlos. Wenn man sie zu schnell dreht, reißen sie. Alles braucht seinen Moment.
Ich erinnere mich an einen Nachmittag, da saß ich mit meiner Oma am Tisch, während draußen der Regen prasselte. Sie aß ihre Frikadelle langsam, mit Messer und Gabel, und sagte: „Weißt du, das Leben ist ein bisschen wie Hackfleisch. Wenn du alles zu schnell durcheinanderwirfst, kommt nichts Gutes raus. Aber wenn du’s ruhig angehst, wird’s was.“ Ich lachte damals, aber heute, Jahre später, weiß ich genau, was sie meinte.
Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, mache ich ihre Frikadellen oft einfach, um mich ihr nah zu fühlen. Ich stelle mir vor, wie sie hinter mir steht und lächelt, während ich die Zwiebeln schneide. Und manchmal, wenn der Duft das Haus erfüllt, habe ich das Gefühl, sie ist wirklich da.
Ich glaube, jeder hat so ein Gericht. Eins, das man mit einem Menschen verbindet. Für manche ist es Apfelkuchen, für andere Kartoffelsalat. Für mich sind es Frikadellen. Weil sie mich an Kindheit erinnern, an Wärme, an Sicherheit.
Und wenn du das liest und denkst, dass du deine Frikadellen nie so gut hinbekommst – glaub mir, es braucht nur Geduld. Knete sie mit den Händen, fühl den Teig, gib ihnen Zeit. Probier den Tipp mit dem eingeweichten Brötchen. Sei nicht zu geizig mit Zwiebeln, aber auch nicht zu mutig mit Salz. Und brate sie nicht in Eile. Dann, irgendwann, wirst du diesen Moment haben – du öffnest die Pfanne, atmest tief ein, und weißt: Jetzt stimmt’s.
Ich schreibe das hier nicht, um ein Rezept zu geben. Sondern, weil ich glaube, dass Rezepte Erinnerungen sind. Wenn du Omas Frikadellen machst, mach sie nicht nur für den Magen. Mach sie für die Seele. Setz dich hin, schneide Zwiebeln, lass die Tränen laufen, und denk an jemanden, der dir wichtig war. Genau dann schmecken sie so, wie sie sollen.
