Es gibt Gerichte, die mehr sind als nur Essen. Sie erzählen Geschichten, sie duften nach Kindheit, nach Wärme, nach langen Sonntagen, an denen die Uhr irgendwie langsamer tickte. Für mich ist so ein Gericht das Gulasch meiner Oma Magda. Ich schwöre, allein der Duft davon konnte einen durchs ganze Haus locken. Es war kein „feines“ Essen, kein Festtagsbraten – und doch war es jedes Mal ein kleines Fest, wenn der große Topf auf dem Herd stand und langsam vor sich hin blubberte.
Ich erinnere mich noch genau an den Klang, das leise Köcheln, das Klappern des Holzlöffels am Topfrand und wie das ganze Haus danach roch. Oma stand immer mit einem Küchentuch über der Schulter da, das Haar leicht zerzaust, aber das Lächeln – das hatte sie immer. Wenn man sie fragte, wie sie ihr Gulasch macht, sagte sie nur: „Mit Liebe und Geduld. Und mit richtigem Fleisch, nicht so’n Supermarkt-Zeug.“
Ich hab’s nie vergessen. Und heute, viele Jahre später, wenn ich Gulasch koche, fühl ich mich wieder wie der kleine Junge, der auf dem Küchenstuhl saß und heimlich ein Stück Brot in die Soße tunkte.
Der Anfang: Einfache Zutaten, große Wirkung
Viele denken, Gulasch wäre kompliziert. Aber das Geheimnis liegt in der Zeit, nicht im Aufwand. Du brauchst keine zehn exotischen Gewürze oder teuren Zutaten – nur gute Basics.
Ich nehme für 4 Portionen:
500 g Rindergulasch – am besten aus der Schulter oder Wade, schön durchwachsen, damit es saftig bleibt.
2 große Zwiebeln, gewürfelt,
2 Knoblauchzehen, fein gehackt,
2 EL Öl, am besten Sonnenblumenöl oder Schmalz (Oma nahm immer Schmalz – das gab diesen unverwechselbaren Geschmack).
2 EL Paprikapulver, edelsüß,
1 TL Paprikapulver, scharf – wenn du’s kräftig magst,
1 TL Kümmel,
1 TL Majoran,
2 Lorbeerblätter,
2 Tomaten, gewürfelt,
1 rote und 1 grüne Paprika,
500 ml Rinderbrühe,
Salz und Pfeffer nach Gefühl.
Und ganz wichtig: Zeit. Ohne Zeit wird Gulasch nur Eintopf. Mit Zeit wird’s Erinnerung.
Schritt 1: Das Fleisch – der Anfang jeder guten Geschichte
Ich schneide das Rindfleisch in gleichmäßige Stücke, etwa 2 cm groß. Oma sagte immer: „Nicht zu klein, sonst verliert es den Stolz.“ Recht hatte sie. Dann würze ich es leicht mit Salz und Pfeffer.
Während das Öl im Topf heiß wird, bereite ich die Zwiebeln vor. Zwei Stück, ordentlich, keine halben Sachen. Oma hatte dafür immer ihr kleines Brett, das schon ganz eingekerbt war. „Die Zwiebeln sind das Herz vom Gulasch“, sagte sie. „Wenn die nicht richtig gebräunt sind, kannst du den Rest vergessen.“
Also: Zwiebeln rein, glasig braten, dann leicht bräunen lassen, bis dieser süßliche Duft aufsteigt. Dann den Knoblauch kurz dazu – nur so lange, bis es duftet.
Jetzt kommt der Moment der Wahrheit: Paprikapulver. Schnell rein, umrühren, bevor es verbrennt. Und sofort mit den gewürfelten Tomaten ablöschen. Das zischt, dampft, und der Duft – ehrlich, das ist pure Kindheit.
Dann das Fleisch rein. Anbraten, rundherum, bis es leicht gebräunt ist. Keine Eile. Jeder Würfel will seinen Moment in der Pfanne.
Schritt 2: Die Gewürze – die Seele des Ganzen
Kümmel, Majoran, Lorbeerblätter – das Trio, das Oma nie wegließ. Kein Gulasch ohne diese drei. Ich hab’s mal probiert, als Student, weil ich zu faul war, und das Ergebnis war: langweilig. Also immer rein damit.
Und dann gieße ich mit Rinderbrühe auf. Nicht zu viel – das Fleisch soll schwimmen, aber nicht baden. Dann Deckel drauf, Hitze runter, und jetzt beginnt die Magie.
Oma sagte immer: „Jetzt lässt du die Zeit kochen.“
Ich lass es mindestens zwei Stunden ganz sanft köcheln. Manchmal auch drei, wenn ich’s eilig hab – ja, du hast richtig gelesen. Eilig und Gulasch passen nicht zusammen.
Schritt 3: Der Duft, der Erinnerungen weckt
Ich weiß noch, wie ich als Kind draußen im Garten gespielt hab. Und irgendwann, so gegen vier Uhr nachmittags, kam dieser Geruch durchs Fenster. Es war, als würde er mich rufen. Ich rannte rein, und da stand der Topf, der Deckel leicht schief, der Dampf zog wie eine Wolke durchs Zimmer.
„Noch nicht!“, rief Oma. „Das Fleisch ist noch störrisch.“
Ich grinste, weil sie über Fleisch redete, als wär’s ein Mensch. „Was heißt störrisch?“ fragte ich einmal.
„Na, es kämpft noch. Erst wenn es aufgibt, ist’s weich.“
Ich schwöre, sie hatte recht. Du merkst es, wenn das Fleisch weich wird. Es wird still im Topf. Es blubbert nicht mehr heftig, sondern gleichmäßig. Dann weißt du: Es ist soweit.
Schritt 4: Die Paprika – der letzte Farbtupfer
Etwa eine halbe Stunde vor Schluss kommen die Paprikawürfel dazu – rot und grün, damit’s schön aussieht. Oma sagte immer: „Das Auge isst mit, aber der Bauch entscheidet.“
Die Paprika soll weich werden, aber nicht zerfallen. Sie bringt Farbe, Frische und ein bisschen Süße rein. Wenn du magst, kannst du auch einen kleinen Schuss Rotwein dazugeben. Das hab ich später ergänzt, Oma hätte das nicht gemacht – „Verschwendung“, hätte sie gesagt. Aber ich finde, ein kleiner Schluck macht’s rund.
Schritt 5: Das Warten
Während das Gulasch weiter köchelt, mach ich oft den Tisch fertig. Meist mit Servietten, die nicht zusammenpassen, einem alten Brotkorb, und manchmal einer Kerze. Und ja, ich weiß, das klingt kitschig, aber wenn du Gulasch machst, dann darf’s ruhig kitschig sein.
Manchmal kommt meine Frau in die Küche und sagt: „Du siehst aus wie deine Oma, wenn du da stehst.“ Und das ist das schönste Kompliment, das sie mir machen kann.
Schritt 6: Der Moment der Wahrheit
Nach gut zweieinhalb Stunden ist es soweit. Ich öffne den Deckel, rühre vorsichtig um – das Fleisch zerfällt fast. Die Soße ist dick, dunkel, glänzend, und riecht nach Zuhause.
Ich koste mit einem Löffel, puste kurz, probiere. Wenn ich Gänsehaut kriege, weiß ich, es ist gut.
Manchmal fehlt noch ein bisschen Salz. Manchmal ein Hauch Pfeffer. Aber meistens – ist’s einfach perfekt.
Die Beilagen – Oma und ihre Prinzipien
Oma servierte ihr Gulasch immer mit Salzkartoffeln. Keine Nudeln, keine Spätzle, keine Experimente. „Gulasch und Kartoffeln gehören zusammen wie Herz und Seele“, sagte sie.
Ich mach’s heute manchmal mit Low-Carb-Beilagen, Blumenkohlpüree oder Selleriestampf – aber ehrlich, mit richtigen Kartoffeln schmeckt’s einfach nach Kindheit.
Und dazu – ein Stück Brot, um die Soße aufzutunken. Das war bei uns Pflicht. Ich seh Oma noch vor mir, wie sie mit der Gabel nach mir piekte, wenn ich zu früh das Brot eintauchte. „Erst wenn alle sitzen!“
Schritt 7: Die Reste – fast besser als frisch
Das Lustige ist: Gulasch wird am zweiten Tag noch besser. Wenn’s durchgezogen ist, wird die Soße intensiver, das Fleisch noch zarter. Oma hat immer absichtlich mehr gekocht. „Für morgen“, sagte sie. Aber ehrlich, sie wusste, dass wir heimlich nachts nochmal zum Topf gehen würden.
Ich hab’s einmal um Mitternacht erwischt – kaltes Gulasch, direkt aus dem Kühlschrank. Ich hab’s gegessen, wie andere Kuchen essen. Und ja – es war göttlich.
Eine kleine Geschichte aus späteren Jahren
Vor ein paar Jahren hatte ich eine Arbeitskollegin, Anna, die aus Ungarn kam. Sie lachte, als ich ihr erzählte, ich hätte das „beste Gulaschrezept von meiner Oma“.
„Von einer deutschen Oma?“, fragte sie schmunzelnd. „Das will ich probieren.“
Also brachte ich am nächsten Tag eine Portion mit. Wir setzten uns in der Mittagspause in die Kantine, ich öffnete den Deckel, der Dampf stieg auf – und sie roch nur daran und sagte: „Oh… das riecht nach Zuhause.“
Da wusste ich: Oma Magda hätte sich gefreut.
Schritt 8: Der Zauber des Einfachen
Ich glaube, das ist das, was Omas Küche so besonders macht: Sie war nie kompliziert. Keine exotischen Zutaten, keine glänzenden Töpfe, kein Schnickschnack. Nur ehrliches Essen.
Ich erinnere mich, wie sie sagte: „Wenn du beim Kochen lächelst, schmeckt man das.“
Und das stimmt. Jedes Mal, wenn ich Gulasch mache, lächle ich irgendwann – meistens, wenn die Zwiebeln in der Pfanne brutzeln oder wenn der Dampf den Raum erfüllt. Es ist, als würde sie noch da stehen, mit ihrem alten Küchentuch über der Schulter.
Schritt 9: Kleine Varianten (aber nur, wenn du darfst)
Ich hab im Laufe der Jahre ein bisschen experimentiert – nicht viel, aber ein bisschen:
- Mit Rotwein: Ein Schuss davon macht’s runder.
- Mit Tomatenmark: Gibt Tiefe in die Soße.
- Mit etwas Speck: Für den rauchigen Touch.
- Mit Pilzen: Wenn du’s herzhafter magst.
Aber wenn du Oma fragst (und ich hör sie förmlich sagen): „Mach’s so, wie’s immer war. Alles andere ist Mode.“
Und ja, manchmal hat sie recht.
Schritt 10: Der letzte Löffel
Wenn der Topf leer ist, der Tisch still, und alle satt und glücklich sind, bleibt dieser Moment – der Blick in den Boden des Topfes. Ein Rest Soße, ein paar Zwiebeln, und dieser Gedanke: Das war’s wert.
Ich sitze dann oft da, mit einem Glas Rotwein, und denke: Kochen ist mehr als Hunger stillen. Es ist ein Stück Erinnerung, ein bisschen Liebe, und ein Hauch Magie.
Und wenn ich meine Kinder sehe, wie sie mit glänzenden Augen die Gabeln in die Soße tauchen, dann weiß ich: Oma Magdas Gulasch lebt weiter.
Das ist kein Gourmetrezept. Kein Sternekochgericht. Das ist ehrliches deutsches Essen, gemacht mit Herz und Geduld. Und vielleicht genau deshalb lieben es alle.Wenn du es nachkochst, mach es langsam. Lass den Duft durch die Wohnung ziehen, mach Musik an, trink ein Glas Wein, und denk an jemanden, der so gekocht hat, dass du dich zuhause gefühlt hast.Denn genau das ist Gulasch nach Oma Magda: Ein Stück Zuhause – egal, wo du bist.
