Ich habe nie besonders viel mit Rhabarber am Hut gehabt. Er war für mich immer dieses schrumpelige Stangengemüse, das irgendwie sauer schmeckt und meistens mit viel Zucker überdeckt werden muss. Bis zu jenem Frühling, als meine Tante aus Norddeutschland mir ein Rezept in die Hand drückte und meinte: “Probiers aus. Wenn du das nicht magst, magst du gar nichts.” Es war ein schlichtes Blatt Papier, leicht angegilbt, mit verblassender Tinte: Rhabarberkuchen mit Baiser. Kein großes Tamtam, kein Instagram-Bild dazu. Nur eine handschriftliche Erinnerung.
Zwei Tage später stand ich in der Küche, etwas skeptisch. Ich hatte gerade auf dem Markt frischen Rhabarber gekauft – dicke, knackige Stangen mit leicht rötlichem Schimmer. Ich wusch sie nur, schnitt sie in etwa 3 cm lange Stücke und widerstand dem Drang, sie zu schälen, wie es viele tun. Tante Anni schrieb explizit: nicht schälen – das gibt Farbe und Charakter.
Ich begann mit dem Teig. Mehl, Speisestärke, Backpulver sieben – allein dieser Schritt hatte etwas Beruhigendes. Dann die Margarine mit Zucker und Vanillinzucker schaumig schlagen. Es duftete schon ein bisschen nach Kindheit. Ich schlug drei Eigelb und zwei ganze Eier hinein, rührte mit Hingabe. Dann kam nach und nach das Mehlgemisch dazu. Der Teig war goldgelb, cremig, glatt.
Ich fettete eine 26er Springform ein und legte sie sicherheitshalber mit Backpapier aus. Dann füllte ich den Teig hinein, strich ihn glatt und belegte ihn ordentlich mit den Rhabarberstücken. Kein Chaos, sondern fast schon meditativ, eine Stange nach der anderen.
Der Kuchen wanderte bei 180 Grad Ober-/Unterhitze in den vorgeheizten Ofen. Ich stellte den Timer auf 40 Minuten und nutzte die Zeit, um mich um den Baiser zu kümmern. Drei Eiweiße, eine Prise Salz – aufgeschlagen, bis sie richtig fest wurden. Dann langsam den Zucker dazu, zum Schluss ein wenig Zitronensaft. Die Masse war seidig, leicht glänzend. Ich wusste: Das wird gut.
Als der Timer piepste, war der Teig herrlich aufgegangen und duftete nach Frühling. Ich holte die Form vorsichtig heraus, verteilte die Baisermasse mit einem Löffel darauf – nicht zu ordentlich, lieber ein paar Spitzen und Wellen. Das gibt beim Backen die schönsten Strukturen.
Zurück in den Ofen, nochmal etwa 20 Minuten. Ich musste aufpassen, dass die Baiserschicht nicht zu dunkel wurde. Also schob ich gegen Ende die Form eine Schiene tiefer und reduzierte die Hitze leicht. Das Ergebnis: eine schneeweiße, zart knusprige Haube, die beim Abkühlen ganz leicht riss.
Der erste Bissen war ein kleiner Schock: Diese Kombination aus süß und sauer, cremig und knusprig, weich und bissfest – ich war überrascht, wie gut das harmonierte. Der Rhabarber hatte nichts Bitteres, nichts Beissendes. Nur Frische und Fruchtigkeit. Ich war verliebt.
Seither ist dieser Kuchen mein Frühlingsklassiker. Ich backe ihn, wenn Freunde kommen, zum Brunch, zur Kaffeezeit oder einfach nur, wenn der April zu viel Regen bringt. Er ist unkompliziert, schnell und hat doch diesen Wow-Effekt.
Hier das Rezept, wie ich es heute immer wieder mache:
Zutaten:
Für den Teig:
- 600 g Rhabarber, nicht geschält
- 150 g Mehl
- 75 g Speisestärke
- 1½ TL Backpulver
- 150 g Margarine
- 150 g Zucker
- 1 Päckchen Vanillinzucker
- 3 Eigelb
- 2 ganze Eier
Für das Baiser:
- 3 Eiweiße
- 1 Prise Salz
- 150 g Zucker
- 1 TL Zitronensaft
Zubereitung:
- Den Rhabarber waschen und in 3 cm lange Stücke schneiden.
- Mehl, Speisestärke und Backpulver sieben.
- Margarine, Zucker und Vanillinzucker schaumig schlagen.
- Eigelb und ganze Eier einrühren.
- Nach und nach das Mehlgemisch unterrühren.
- Teig in eine gefettete (oder mit Backpapier ausgelegte) Springform (26 cm) füllen.
- Rhabarber gleichmäßig darauf verteilen.
- Bei 180 Grad (Ober-/Unterhitze) ca. 40 Minuten backen.
- Inzwischen Eiweiße mit Salz steif schlagen, Zucker und Zitronensaft einrühren.
- Kuchen nach 40 Minuten herausnehmen, Baisermasse auftragen.
- Weitere 20 Minuten backen, eventuell Temperatur leicht reduzieren.
Ich teile dieses Rezept gerne weiter. Es ist ein Kuchen, der nie aus der Mode kommt. Einer, der mit jeder Gabel einen kleinen Moment Glück bringt. Wenn du ihn nachbackst, lass mich wissen, wie er dir schmeckt – vielleicht wird er auch dein neuer Lieblingskuchen für den Frühling.