Ich glaube, jeder Deutsche hat irgendeine Geschichte zu Reibekuchen – oder wie sie bei uns zu Hause liebevoll hießen: „Rievkooche“. Allein schon, wenn ich das Wort höre, rieche ich wieder den Duft von heißem Öl, der sich in der Küche ausbreitete, wenn Oma in ihrer geblümten Schürze stand, die Ärmel hochgekrempelt hatte und auf ihrem alten, schweren Gusseisenherd eine Pfanne nach der anderen brutzelte. Damals wusste ich nicht, dass dieses einfache Gericht – geriebene Kartoffeln, Zwiebeln, etwas Mehl und Ei – eines Tages für mich so viel mehr bedeuten würde als nur Essen. Es war Wärme, Geborgenheit und Heimat auf einem Teller. Heute möchte ich dir nicht nur das Rezept geben, sondern auch die Geschichte, die dazugehört. Denn Reibekuchen sind mehr als nur Kartoffelpuffer – sie sind ein Stück deutscher Seele.
Wenn man Reibekuchen macht, beginnt alles mit Kartoffeln. Früher kam mein Opa mit einem Korb voller frischer, noch erdiger Kartoffeln vom Feld. Oma wusch sie in kaltem Brunnenwasser, das an den Händen immer so schrecklich kalt war. Ich durfte helfen, aber nur mit dem kleinen Messer, denn das große war „viel zu gefährlich für Kinderhände“. Dann kam der Teil, den ich nie vergessen werde: das Reiben. Oma hatte so eine alte Metallreibe mit scharfen Zähnen, und jedes Mal, wenn sie loslegte, hörte man nur das rhythmische „schrrr-schrrr“, das durch die Küche hallte. Ich durfte dann später die geriebenen Kartoffeln in ein altes Baumwolltuch geben und sie kräftig ausdrücken, bis das Wasser fast klar war. Meine Finger waren danach immer klamm und leicht taub – aber ich fühlte mich großartig, weil ich mithelfen durfte.
Heute, wenn ich Reibekuchen mache, habe ich natürlich eine Küchenmaschine. Ich drücke nur einen Knopf – und zack, sind die Kartoffeln perfekt gerieben. Aber irgendwie fehlt mir dann doch das alte Ritual. Es war langsamer, aber schöner. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen damals und heute: Damals hat man gekocht, um Zeit miteinander zu verbringen. Heute kochen wir, um Zeit zu sparen. Und dabei verlieren wir oft das Schönste: die kleinen Momente.
Für meine Reibekuchen nehme ich etwa zwölf große Kartoffeln – mehligkochend, das ist wichtig. Sie geben dem Teig die richtige Konsistenz. Dann kommen drei Zwiebeln dazu – fein gerieben oder gewürfelt, je nachdem, wie intensiv du den Geschmack magst. Ich liebe den Duft von frischen Zwiebeln, auch wenn mir dabei regelmäßig die Tränen in die Augen schießen. Ich sage mir dann immer: das ist das Herz der Reibekuchen, das gehört dazu. Zwei Eier kommen hinein, etwas Salz, ein Hauch Pfeffer – und natürlich Mehl. Oma hat nie gemessen, sie sagte immer: „Bis es richtig aussieht.“ Und recht hatte sie. Wenn die Masse nicht zu flüssig und nicht zu fest ist, dann weiß man, dass es passt. Ich nehme meist etwa acht Esslöffel Mehl, manchmal ein bisschen mehr, wenn die Kartoffeln besonders saftig sind. Das ist keine Wissenschaft, sondern Gefühl.
Manche geben auch ein paar Esslöffel Haferflocken hinein, damit die Reibekuchen noch knuspriger werden – das ist ein Tipp, den ich erst später entdeckt habe, aber er funktioniert wunderbar. Und wenn du magst, kannst du auch etwas Majoran oder Muskat hinzufügen. Oma hätte mich dafür vermutlich mit einem strengen Blick bedacht – sie war Puristin, sie mochte keine Experimente – aber ich finde, ein Hauch Muskat macht sie noch aromatischer.
Dann kommt der entscheidende Moment: das Braten. Das ist, wo Magie passiert. In einer großen Pfanne erhitze ich reichlich Öl – früher war es Schweineschmalz, heute nehme ich lieber Sonnenblumenöl, weil es neutraler ist. Das Öl muss heiß sein, aber nicht rauchen. Wenn du ein kleines Stück Kartoffel hineinfallen lässt und es sofort zischt, ist die Temperatur perfekt. Mit einem Löffel setze ich die Portionen in die Pfanne, drücke sie leicht flach und lasse sie goldgelb braten. Der Geruch, der dann aufsteigt – das ist Kindheit pur. Dieses Knistern, das leichte Spritzen des Öls, das leise Brutzeln… Es ist fast meditativ. Ich könnte stundenlang danebenstehen und einfach nur zuhören.
Ich erinnere mich, dass Oma immer eine alte Zeitung unter die Teller gelegt hat, wenn sie die fertigen Reibekuchen aus der Pfanne nahm. „Damit das Fett abläuft“, sagte sie. Und dann kam der schwierigste Teil: warten. Wir Kinder saßen schon am Küchentisch, mit roten Wangen und glänzenden Augen, und durften erst zugreifen, wenn alle fertig waren. Und natürlich war das unmöglich. Jeder hat heimlich schon mal ein Stück abgebrochen, und wenn Oma sich umdrehte, tat jeder unschuldig. Aber sie wusste es natürlich. Sie tat nur so, als hätte sie nichts bemerkt.
Heute serviere ich meine Reibekuchen mit Apfelmus – klassisch, wie bei Oma. Aber manchmal mache ich auch einen Kräuterquark dazu oder einen frischen Gurkensalat mit Dill und Joghurt. Das gibt einen schönen Kontrast zum warmen, knusprigen Kartoffelpuffer. Es gibt sogar Leute, die sie mit Lachs essen – das ist dann die moderne Variante, vielleicht für Gäste, die denken, sie essen etwas Edles. Ich bleibe aber lieber beim Alten. Es hat etwas Erdiges, Echtes. Wenn du einmal einen Reibekuchen so isst, wie Oma ihn gemacht hätte – leicht fettig, aber voller Geschmack – dann weißt du, was „ehrliches Essen“ bedeutet.
Viele fragen mich: Wie werden Reibekuchen perfekt knusprig? Mein Geheimnis ist ganz einfach: Das Wasser muss raus. Je trockener die geriebenen Kartoffeln sind, desto besser wird die Kruste. Und das zweite Geheimnis: Lass sie in Ruhe! Dreh sie nicht zu früh. Erst wenn sich die Ränder goldgelb färben und du merkst, dass sie sich leicht vom Pfannenboden lösen, ist der richtige Moment. Dann werden sie innen weich und außen knusprig – genau so, wie sie sein sollen.
Ich erinnere mich, dass Oma ihre Reibekuchen nie wegwarf, selbst wenn sie mal etwas dunkler waren. Sie sagte immer: „Das sind die Besten, die haben Charakter!“ Und irgendwie stimmt das. In einer Welt, in der alles perfekt aussehen muss, liebe ich es, wenn ein Reibekuchen kleine Ecken hat, wenn er unregelmäßig ist, wenn man sieht, dass er mit der Hand gemacht wurde. Das ist das, was Kochen für mich ausmacht – Liebe und Unvollkommenheit.
Einmal im Jahr mache ich Reibekuchenabend. Freunde, Nachbarn, Familie – alle kommen vorbei. Ich brate dann stundenlang, rede, lache, und am Ende duftet die ganze Wohnung nach Öl und Glück. Einer meiner Nachbarn, der eigentlich kaum Deutsch spricht, sagte einmal lachend: „Wenn das riecht, weiß ich, dass bei dir Liebe ist.“ Und ich glaube, das fasst es perfekt zusammen.
Ich habe auch Low-Carb-Versionen probiert, mit Zucchini statt Kartoffeln, oder mit Blumenkohl – lecker, aber nicht dasselbe. Nichts ersetzt diesen Geschmack von echten Kartoffeln, die langsam im Öl brutzeln. Es ist ein bisschen wie mit Erinnerungen – du kannst sie modernisieren, aber sie schmecken nie ganz gleich.
Manchmal denke ich darüber nach, wie einfach das Leben damals war. Es gab kein Instagram, keine Filter, keine perfekt gestylten Food-Fotos. Nur eine dampfende Pfanne, eine Oma mit Lächeln und eine Familie, die sich um den Tisch versammelt hat. Wenn ich heute meine Kinder sehe, wie sie mit Handys am Tisch sitzen, während ich koche, muss ich manchmal schmunzeln. Ich sage dann: „Legt die Dinger weg, sonst gibt’s keine Reibekuchen!“ Und ja, das funktioniert.
Ich weiß nicht, ob Reibekuchen jemals aus der Mode kommen. Ich hoffe nicht. Denn sie sind mehr als nur Essen. Sie sind eine Erinnerung an eine Zeit, in der man noch wusste, was wichtig war: einfache Zutaten, viel Liebe und ein bisschen Geduld. Und vielleicht, wenn du sie das nächste Mal machst, denkst du an deine eigene Oma, an ihre Küche, an den Duft und das Lachen – und du wirst verstehen, warum Reibekuchen niemals einfach nur Kartoffelpuffer sind.
Also, falls du das Rezept ausprobieren willst – hier nochmal kurz:
Zutaten:
12 große Kartoffeln, 3 Zwiebeln, 2 Eier, etwa 8 EL Mehl, Salz, Pfeffer, Öl zum Braten.
Zubereitung:
Kartoffeln und Zwiebeln reiben, gut ausdrücken, mit Eiern, Mehl, Salz und Pfeffer mischen, im heißen Öl goldbraun ausbacken.
Und dann – am besten sofort essen, mit Apfelmus oder einfach pur. Denn nichts schmeckt besser als ein frisch gebratener, noch dampfender Reibekuchen.
Ich wünsche dir, dass dein Haus heute genauso duftet wie damals bei Oma. 🥔❤️
