Ich erinnere mich noch an meinen ersten Besuch in Wien, es war ein kühler Herbstabend, und die Stadt lag in einem goldenen Licht, das von den Laternen an der Ringstraße schimmerte. Es war mein erstes Mal in dieser Stadt, und ich war fasziniert – die alten Straßen, das Kopfsteinpflaster, das Rascheln der Blätter im Wind. Ich hatte den ganzen Tag die Museen besucht, den Stephansdom bestaunt und mich durch kleine Gassen treiben lassen, bis mich der Duft von gebratenen Zwiebeln, Paprika und Fleisch in eine kleine Beisl zog – so nennen die Wiener ihre gemütlichen Gasthäuser.
Dort, zwischen Holzvertäfelung und karierten Tischdecken, saßen Handwerker, Rentner, Studenten und ein paar Touristen wie ich. Und dann kam dieses Gericht auf den Tisch – Wiener Saftgulasch. Ein Teller, der aussah wie aus einer anderen Zeit: kein Firlefanz, kein Deko-Kraut, kein Schäumchen – einfach Fleisch, Soße, Brot. Aber der Duft! Er war tief, würzig, fast süß von den Zwiebeln, rauchig vom Paprikapulver, erdig vom Kümmel. Ich nahm den ersten Bissen, und ich schwöre, die Welt stand still.
Seit diesem Abend ist Gulasch für mich kein einfaches Gericht mehr. Es ist ein Stück Geschichte. Es erzählt von Menschen, die Zeit haben, die wissen, dass gutes Essen nicht in zehn Minuten entsteht. Es erzählt von den alten Zeiten, als die Hausfrauen das Gulasch am Vormittag aufsetzten und den ganzen Tag über leise köcheln ließen, während draußen die Pferdekutschen vorbeifuhren.
Das Originalrezept, so wie ich es später von einem alten Wiener Koch lernte, braucht vor allem eines: Geduld. Ohne sie wird’s nichts. Und genau das macht es so besonders – es ist ein Gericht, das sich nicht hetzen lässt, ein Symbol der Ruhe in einer Welt, die immer schneller wird.
Ich beginne mit dem Wesentlichen: 1 Kilogramm Rindsgulasch, am besten aus der Wadschinke – das ist das Fleisch aus der Rinderkeule, sehnig, durchzogen, perfekt zum Schmoren. Die Stücke sollten weder zu klein noch zu groß sein, etwa daumengroß, damit sie später schön zart werden, aber nicht zerfallen. Dann kommt das Herzstück des Wiener Gulaschs: die Zwiebeln. Und hier liegt das Geheimnis – für jedes Kilo Fleisch fast genauso viel Zwiebeln, also 800 Gramm. Kein Gulasch ohne Zwiebeln! Sie sind nicht einfach nur eine Zutat, sie sind die Seele der Soße.
Ich schäle sie, grob gewürfelt, und tränen mir dabei fast die Augen aus. Aber das gehört dazu. Wenn die Zwiebeln nicht weinen lassen, ist es kein echtes Gulasch, sage ich immer. In einem großen, schweren Topf erhitze ich Schmalz oder gutes Öl. Die Zwiebeln kommen hinein, und jetzt beginnt der wichtigste Teil: das Rösten.
Langsam, wirklich langsam, bei mittlerer Hitze. Ich rühre, und die Zwiebeln verändern sich – zuerst glasig, dann goldgelb, schließlich tiefbraun. Es duftet wie ein Herbstabend im Wiener Wald. Dieser Moment dauert locker eine halbe Stunde, manchmal länger. Wer hier ungeduldig wird, verdirbt das Gulasch. Denn nur wenn die Zwiebeln karamellisieren, bekommt man diesen dunklen, intensiven Saft, der dem Gericht seinen Namen gibt.
Dann nehme ich den Topf kurz vom Herd, lasse ihn ein bisschen abkühlen – das ist wichtig, damit das Paprikapulver nicht verbrennt. Ich gebe vier Esslöffel Paprikapulver hinein – edelsüß, versteht sich – und sofort steigt dieser unverwechselbare Duft auf, süß, warm, ein bisschen rauchig. Dann kommen Knoblauch (vier Zehen, fein gehackt), Kümmel, Majoran, ein kleiner Löffel Tomatenmark, etwas Essig – das bringt Säure und Tiefe – und natürlich Salz und Pfeffer. Ich rühre alles gut durch, gieße mit etwas Wasser auf und lasse das Ganze eine halbe Stunde sanft köcheln, damit sich die Aromen verbinden.
Erst dann kommt das Fleisch. Ich lege die Stücke in den Topf, rühre sie unter, und gieße so viel Wasser dazu, dass alles bedeckt ist. Kein Wein – das unterscheidet das Wiener Saftgulasch vom ungarischen. In Wien bleibt der Geschmack ehrlich, klar, voll Zwiebel und Paprika. Ich bringe es zum Kochen, drehe dann die Hitze herunter, und jetzt beginnt der magische Teil: das lange Schmoren.
Drei Stunden mindestens. Und in dieser Zeit darf man nicht einfach weglaufen. Man muss dableiben, immer wieder umrühren, prüfen, ob es zu dick oder zu dünn wird, eventuell einen Schuss Brühe oder Wasser dazugeben. Das Gulasch ist wie ein kleines Kind – es braucht Aufmerksamkeit, aber wenn man es richtig behandelt, dankt es einem mit unvergesslichem Geschmack.
Ich erinnere mich, wie meine Nachbarin in Niederösterreich das Gulasch immer am Vortag machte. Sie sagte: „Am nächsten Tag schmeckt’s erst richtig.“ Und sie hatte recht. Wenn das Gulasch über Nacht ruht, verbinden sich die Aromen, die Soße wird sämiger, das Fleisch noch zarter.
In meiner Küche riecht es währenddessen wie in einem Wiener Wirtshaus. Draußen nieselt der Regen gegen das Fenster, und ich höre das leise Blubbern aus dem Topf. Es ist fast meditativ. Ich sitze am Tisch, schaue in den Dampf, der aufsteigt, und denke daran, wie viele Generationen dieses Gericht schon gekocht haben. Es ist einfach, ja, aber in seiner Einfachheit steckt Tiefe.
Nach den Stunden des Wartens ist der Moment gekommen: Ich nehme den Deckel ab. Das Fleisch ist dunkelrotbraun, die Soße glänzt wie Bernstein. Ich koste – ein Stück Fleisch zerfällt auf der Zunge, die Zwiebeln sind völlig verschwunden, nur ihr Geschmack bleibt, süß und kräftig. Ich würze nach, vielleicht eine Prise Salz, vielleicht ein bisschen Paprika mehr, aber eigentlich braucht es nichts. Das Gulasch weiß selbst, wie es schmecken soll.
Serviert wird traditionell mit einem Semmelknödel oder einfach mit frischem, weißem Brot. In Wien legt man großen Wert darauf, dass man den „Saft“ – also die Soße – mit dem Brot auftunken kann. Und wer einmal diesen Saft gekostet hat, versteht, warum man ihn fast ehrfürchtig „Saftgulasch“ nennt.
Manchmal, wenn ich Besuch bekomme, erzähle ich die Geschichte, wie das Wiener Gulasch eigentlich aus Ungarn stammt, aber in Wien zu dem wurde, was es heute ist. Die Wiener haben es verfeinert, milder gemacht, auf ihre elegante Art – weniger scharf, mehr rund, voller Schmelz. Es ist wie die Stadt selbst: ein bisschen altmodisch, ein bisschen charmant, und voller Geschichte.
Ich erinnere mich an eine Anekdote, die mir ein alter Koch in einem Wiener Beisl erzählte: Früher, als die Fiaker noch durch die Stadt fuhren, gab es in jeder Gulaschküche einen Topf, der nie ganz leer wurde. Jeden Tag kam etwas Neues dazu, und das Aroma wurde immer intensiver. Das „ewige Gulasch“, nannten sie es. Es war eine Art lebendiger Geschmack, der über Wochen hinweg reifte.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum Gulasch etwas Nostalgisches hat. Es ist ein Essen, das man nicht alleine isst. Es gehört in die Mitte des Tisches, in großen Portionen, mit Freunden, mit Familie. Es ist das Gegenteil von Fastfood – es ist Slow Soul Food.
Ich koche es manchmal im Winter, wenn die Tage kurz und grau sind. Dann ist es, als würde das Gulasch die Kälte vertreiben. Die Wärme der Zwiebeln, der Duft von Paprika, das weiche Fleisch – es wärmt von innen heraus. Und manchmal, wenn der erste Schnee fällt, mache ich mir einen großen Topf, nur für mich, und lasse es drei Stunden leise blubbern, während ich ein Buch lese. Wenn es fertig ist, ist die Welt irgendwie in Ordnung.
Einmal, bei einem Besuch in Wien, saß ich im „Zum Schwarzen Kameel“, einem alten Lokal, und hörte einem Kellner zu, der einem Gast erklärte: „Ein gutes Gulasch braucht Zeit, aber vor allem Liebe. Wenn’s eilig ist, wird’s nichts.“ Ich lächelte, weil ich wusste, wie recht er hatte.
Heute, wenn ich es für meine Freunde mache, sage ich immer: „Setzt euch, trinkt ein Glas Wein, redet – das Gulasch sagt Bescheid, wenn es soweit ist.“ Und wenn es dann auf dem Tisch steht, dampfend, duftend, und alle das erste Stück probieren, dann passiert etwas Schönes: Die Gespräche werden leiser, die Gesichter weicher, und für einen Moment ist alles ganz einfach.
Vielleicht ist das Wiener Saftgulasch deshalb so besonders – weil es mehr ist als ein Gericht. Es ist eine Erinnerung an eine Zeit, in der man das Leben noch nicht in Minuten gemessen hat. Eine Zeit, in der man beim Kochen stehenblieb, roch, kostete, wartete. Es ist, als würde man die Uhr anhalten, nur um zu schmecken, was Geduld bedeutet.
Und jedes Mal, wenn ich den Löffel durch die Soße ziehe, denke ich an diesen kleinen Beisl in Wien, an das Klirren der Gläser, das Lachen der Gäste, das langsame Leben, das dort in jedem Gericht steckte. Das ist für mich das wahre Wiener Gefühl: nichts überstürzen, das Leben mit einem Stück Brot und einem Teller Gulasch genießen.
Wenn man will, kann man natürlich Variationen machen – ein bisschen Bier statt Wasser, ein paar Stücke Paprika oder Kartoffeln dazu. Aber im Grunde braucht ein echtes Wiener Saftgulasch nichts als Zwiebeln, Fleisch, Paprika und Zeit. Das ist das ganze Geheimnis. Und wer das einmal verstanden hat, kocht nie wieder anders.
Am nächsten Tag, wenn das Gulasch aufgewärmt wird, ist es sogar noch besser. Die Soße dickt nach, die Farbe wird dunkler, das Fleisch zerfällt fast beim Hinschauen. Und wenn man dann das frische Brot hineintunkt und diesen ersten Bissen nimmt, dann schmeckt man Wien – nicht das moderne, hektische Wien, sondern das alte, warme, gemütliche Wien, das zwischen Holzstühlen, Kronleuchtern und Zwiebelduft lebt.
Und so schließt sich der Kreis: Aus einfachen Zutaten wird ein königliches Gericht. Aus Zeit wird Geschmack. Aus Geduld wird Freude. Und aus einem einfachen Topf Gulasch wird ein Stück österreichische Seele.
